Luftangriffe auf Leipzig
Die Luftangriffe auf Leipzig fügten der Stadt Leipzig während des Zweiten Weltkrieges schwere Schäden zu. Die Angriffe wurden von Einheiten der Royal Air Force (RAF) und den United States Army Air Forces (USAAF) ausgeführt. Der schwerste wurde in den Morgenstunden des 4. Dezember 1943 von der britischen RAF ausgeführt und forderte über 1.800 Menschenleben. Das Stadtzentrum wurde zu großen Teilen zerstört, während die Industriebetriebe nur zeitweilige Produktionsausfälle zu verzeichnen hatten und später teilweise verlagert oder dezentralisiert wurden.
Im Luftkrieg des Zweiten Weltkriegs sind in Leipzig etwa 6.000 Menschen ums Leben gekommen.[1]
Inhaltsverzeichnis
1 Bedeutung als Angriffsziel
2 Angriffe
2.1 Pläne und erste Angriffe
2.2 4. Dezember 1943
2.2.1 Vorgeschichte
2.2.2 Verlauf
2.2.3 Opfer und Schäden
2.3 20. Februar 1944
2.4 März bis Dezember 1944
2.5 Januar 1945 bis Kriegsende
3 Folgen
4 Literatur
5 Weblinks
6 Einzelnachweise
Bedeutung als Angriffsziel |
Im „Großdeutschen Reich“ des Jahres 1939 stand Leipzig auf der Liste der größten deutschen Städte mit über 700.000 Einwohnern auf dem sechsten Platz, wobei Wien mit berücksichtigt ist. Als „Reichsmessestadt“ hatte es zusätzlich eine herausgehobene Bedeutung. Leipzig ist damals wie heute auch ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt.
Für die Kriegsführung besonders bedeutend war das Erla-Maschinenwerk, das an drei Standorten in Heiterblick, Abtnaundorf und Mockau Bf-109-Jagdflugzeuge produzierte. Als weiterer Betrieb stellte die Allgemeine Transportanlagen-Gesellschaft in Großzschocher Flugzeugteile und komplette Maschinen her. Das Werk von Büssing-NAG in Wahren baute Motoren und Fahrgestelle für 8-Rad-Panzerspähwagen. Die bei Leipzig-Portitz in den 1930er-Jahren neu errichteten Mitteldeutschen Motorenwerke fertigten Junkers-Flugmotoren (Jumo 205, Jumo 211 und Jumo 213) sowie Teile für das Strahltriebwerk Jumo 004.
Angriffe |
Pläne und erste Angriffe |
Sachsen galt wegen des langen Anflugweges von Großbritannien aus als relativ sicher vor Luftangriffen, was sich jedoch im Verlauf des Jahres 1943 mit der verstärkten Indienststellung schwerer viermotoriger Maschinen der Typen Stirling, Halifax und Lancaster bei der RAF änderte. Bereits im August 1940 befanden sich in den Akten des britischen RAF Bomber Command Pläne zur Bombardierung Leipzigs unter dem Codenamen „Haddock“ (Schellfisch).[2] Der Stellvertreter von Arthur Harris, Oberbefehlshaber des Bomber Command, war Air Vice-Marshal Robert Saundby, der als begeisterter Angler alle in Auswahl kommenden deutschen Städte mit einem Fish code versah.[3] Von einem Luftangriff zur Eröffnung der Leipziger Messe am 25. August 1940 oder unmittelbar danach versprach man sich eine Demonstration der britischen Luftmacht auf die aus ganz Europa angereisten Messegäste. Die in der Nacht vom 25. auf den 26. August 1940 gestarteten zweimotorigen Bomber fanden die Stadt Leipzig jedoch nicht.
Am 27. März 1943 wurde durch Notabwürfe eines britischen Flugzeuges in Gohlis ein Großfeuer ausgelöst. In der Nacht vom 31. August auf den 1. September erfolgte ein schwacher britischer Angriff, der Eutritzsch und Schönefeld traf und bei dem es vier Todesopfer gab.[4]
Spätestens seit dem Luftangriff auf Kassel am 22./23. Oktober 1943 war klar, dass die neuen viermotorigen Bomber eine Reichweite hatten, die es ihnen ermöglichte, bis in den mitteldeutschen Raum vorzudringen.
4. Dezember 1943 |
Vorgeschichte |
Wie schon während des gesamten Jahres 1943 hatte die Royal Air Force in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember einen Luftangriff auf Berlin geflogen. Die deutsche Nachtjagd hatte sich inzwischen darauf eingestellt und 40 Bomber abgeschossen.[2] In der folgenden Nacht war Leipzig das Ziel, wobei die Anflugroute so konzipiert war, dass die deutsche Luftabwehr möglichst lange im Unklaren über das Ziel der Bomberflotte blieb und der Angriff erst in den frühen Morgenstunden erfolgte. Mit einer solchen für die Bomberverbände gefährlicheren Taktik rechnete man auf deutscher Seite nicht, da dann die Bomber im beginnenden Tageslicht zurückfliegen müssten und von Jagdfliegern leichter zu bekämpfen wären.
Verlauf |
Die Route des Bomberverbandes, 527 viermotorige Bomber der Typen Halifax und Lancaster,[5] überquerte über der Zuidersee die Küste des Festlandes, führte dann in östlicher Richtung über Norddeutschland auf Berlin zu und bog etwa über der Stadt Brandenburg nach Süden ab. Zwischen 3:50 Uhr und 4:25 Uhr warfen 442 Bomber insgesamt fast 1400 t Spreng- und Brandbomben ab. Fliegeralarm war um 3:39 Uhr gegeben worden, die Entwarnung erfolgte 5:32 Uhr.[6]
In der eng bebauten Innenstadt entwickelte sich nach dem Angriff ein Feuersturm. Dessen Intensität überstieg nach der Einschätzung des zur Angriffszeit zufällig in Leipzig befindlichen Generalinspekteurs für das Feuerlöschwesen, Hans Rumpf, sogar die des Hamburger Feuersturmes während der „Operation Gomorrha“.[7] Die Leipziger Feuerschutzpolizei hatte in der Nacht zuvor die Hälfte ihrer Kräfte nach Berlin entsenden müssen. Die aus dem Umland herbeigerufenen Feuerwehren konnten Brände häufig nicht wirksam bekämpfen, da ihre Schläuche nicht an die speziellen Anschlüsse der Leipziger Hydranten passten, die nur zu etwa 30 % auf genormte Anschlüsse umgestellt worden waren.[8] Die Wasserversorgung brach zudem rasch zusammen.
Opfer und Schäden |
Über 1.800 Menschen kamen ums Leben. Diese Zahl ist für solch einen schweren Angriff relativ gering, da sich viele Einwohner nicht an die Anordnung hielten, bis zur Entwarnung in den Kellern zu bleiben, sondern rechtzeitig die Flucht ergriffen oder entstehende Brände bekämpften.[8] 114.000 Leipziger wurden obdachlos.[9]
Besonders im Stadtzentrum fielen den Bomben viele historische Gebäude zum Opfer, so das Alte und Neue Theater, die Neue Börse, das Schiff der Johanniskirche, die Alte Waage, die Matthäikirche, das Bildermuseum, die Hauptpost und das Augusteum, das Hauptgebäude der Universität. Der Dachstuhl des Alten Rathauses brannte aus; eine bei einer Sanierung Anfang des 20. Jahrhunderts eingezogene Betondecke verhinderte ein Ausbrennen auch der darunter liegenden Geschosse.[10] Weiterhin verzeichnete man unter anderem die Zerstörung von 1067 Geschäftshäusern, 472 Fabrikgebäuden, 56 Schulen, 29 Messehäusern und 9 Kirchen.[11] Von den 92 Instituten der Universität Leipzig wurden 58 getroffen und teilweise oder ganz zerstört.[12]
Im Mai 1944 wurden über 15.000 betroffene Gebäude gezählt, davon waren über 4.000 zerstört, über 1.000 schwer und über 10.000 leicht beschädigt. Laut vorläufigem amtlichen Abschlussbericht vom 30. Dezember 1943 waren hauptsächlich der Stadtkern innerhalb des Ringes, die sich unmittelbar im Westen, Norden und Osten anschließenden Gebiete sowie die gesamte Südvorstadt schwer betroffen. Die daran im Norden und Osten anschließenden Gebiete wurden leicht betroffen, während im äußeren Westen, Südwesten und Nordwesten keine Schäden entstanden waren. Etwa 140.000 Menschen waren obdachlos geworden.[13]
20. Februar 1944 |
Während der so genannten Big Week war Leipzig eines der ersten Ziele, die von britischen und US-amerikanischen Bombern angegriffen wurden. Am 20. Februar 1944 wurden zwischen 3:15 Uhr und 4:20 Uhr Wohngebiete im Süden (Connewitz) sowie Wohn- und Industriegebiete im Südwesten Leipzigs (Schleußig und Großzschocher) getroffen. Bei diesem britischen Nachtangriff mit über 700 Bombern fielen knapp 2.300 t Bomben. Am Nachmittag desselben Tages warfen über 200 Bomber der 8. US-Luftflotte etwa 700 t Bomben auf die am Flughafen Mockau im Nordosten der Stadt liegenden Flugzeugwerke. Durch die Angriffe wurde unter anderem das (zweite) Gewandhaus zerstört.[14] Es traf ebenso die Hochschule für Musik, das Reichsgericht, die Universitätsbibliothek sowie große Teile des Musikviertels.
Insgesamt kamen etwa 970 Menschen ums Leben, die meisten durch den britischen Nachtangriff. Infolge des Tagesangriffs wurden die betroffenen Betriebe zum Teil schwer beschädigt, zum Beispiel das Erla-Maschinenwerk in Heiterblick zu 65 %. Im Mai 1944 lief die Flugzeugproduktion bei Erla immer noch nicht wieder in vollem Umfang, während die anderen betroffenen Betriebe bis dahin wieder arbeiteten.[15]
März bis Dezember 1944 |
Flugzeuge der 8. US-Luftflotte flogen im Frühjahr und Sommer 1944 weitere Angriffe auf Leipziger Industrie- und Verkehrsanlagen, so am 29. Mai, am 29. Juni und am 7. Juli. Bei dem Angriff am 7. Juli waren neben dem Hauptbahnhof weitere Verkehrsanlagen das Ziel. Ein direkter Treffer brachte das Dach des Querbahnsteiges des Hauptbahnhofes zum Einsturz.[16] Insgesamt fielen diesen Angriffen etwa 470 Menschen zum Opfer. Am 6. Dezember 1944 wurden erstmals Leutzsch im äußersten Westen der Stadt sowie der angrenzende Vorort Böhlitz-Ehrenberg angegriffen.
Im Rahmen von Angriffen auf Ziele in der Umgebung Leipzigs, wie die Hydrierwerke zur Erzeugung von synthetischem Benzin in Leuna, Böhlen (Braunkohle-Benzin AG) und Zeitz, kam es vereinzelt zu Bombenabwürfen auf Leipzig als Ausweichziel.[17]
Januar 1945 bis Kriegsende |
Am 27. Februar 1945 flog die 8. US-Luftflotte, die bisher meist Punktziele angegriffen hatte, von 12:50 Uhr bis 14:15 Uhr einen Flächenangriff auf das gesamte Stadtgebiet, dem 677 Menschen zum Opfer fielen.[18] Am 6. April griff der Verband erneut Leipzig an, wobei 733 Menschen ums Leben kamen.[19] In der Nacht vom 10. auf den 11. April erfolgte nochmals ein Doppelangriff der britischen RAF. In den letzten zehn Tagen des am 15. April 1945 offiziell eingestellten westalliierten Bombenkrieges gegen Deutschland starben dadurch nochmals über 700 Menschen.[20]
Am 18. April, eine reichliche Woche nach dem letzten Großangriff, nahm die 69. Infanteriedivision der 1. US-Armee Leipzig ein.
Folgen |
Durch die Luftangriffe lag ein großer Teil der Bausubstanz der eng bebauten Innenstadt in Trümmern. Die Gebäude am Augustusplatz hatten mit Ausnahme der Universitätskirche umfangreiche Schäden erlitten. Dagegen waren das Areal zwischen Richard-Wagner-Straße und Brühl sowie das von Katharinenstraße, Salzgäßchen, Schuhmachergäßchen und Reichsstraße begrenzte Gebiet weitgehend zerstört. Dadurch änderte sich das Erscheinungsbild der Innenstadt erheblich. Insgesamt waren 40 % der Wohnungen und 80 % der Messebauten zerstört oder schwer beschädigt worden.[15]
Viele der zerstörten historischen Gebäude wurden nicht wieder aufgebaut, darunter die Johanniskirche, deren Turm erst Anfang der 1960er-Jahre gesprengt wurde. Zwischen Katharinen- und Reichsstraße sowie Brühl und Böttchergäßchen wurden die Reste der Bebauung abgetragen und der Sachsenplatz angelegt, an dessen Stelle sich seit 2004 der Neubau des Museums der bildenden Künste befindet. Das Ensemble der früheren Universität (Augusteum) inklusive der unbeschädigten Universitätskirche wurde 1968 gesprengt, um Platz für den Neubau der Karl-Marx-Universität zu schaffen.
Literatur |
Götz Bergander: Dresden im Luftkrieg. 2. Auflage; Böhlau Verlag, Weimar, Köln, Wien 1994, ISBN 3-412-10193-1.
Olaf Groehler: Der Tod im Morgengrauen. In: Flieger-Revue H. 6/1984, S. 178–182 u. H. 7/1984 S. 210–214.- Birgit Horn-Kolditz: Die Nacht, als der Feuertod vom Himmel stürzte. Leipzig, 4. Dezember 1943. (Deutsche Städte im Bombenkrieg), Wartberg-Verlag, Gudensberg-Gleichen 2003, ISBN 3-8313-1340-7.
- Mark Lehmstedt (Hg.): Leipzig brennt. Der Untergang des alten Leipzig am 4. Dezember 1943 in Fotografien und Berichten. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2003, ISBN 3-937146-06-7.
Weblinks |
Commons: World War II destructions in Leipzig – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
- Birgit Horn: Angriffsziel „Haddock“. Chronologische Auflistung der Bombenangriffe auf Leipzig, eingesehen am 25. Mai 2018.
Einzelnachweise |
↑ Lehmstedt, S. 264.
↑ ab Groehler, S. 178.
↑ Fish code names, (britisches Original, PDF; 292 kB), deutsche Übersetzung (PDF; 214 kB), Auf: bunkermuseum.de (Bunkermuseum Emden), abgerufen am 26. September 2017
↑ Lehmstedt, S. 26 u. Bergander, S. 404.
↑ RAF Bomber Command Campaign Diary, December 1943 (Memento vom 28. Juli 2012 im Internet Archive)
↑ Groehler, S. 178, 211.
↑ Lehmstedt, S. 263 u. Groehler, S. 211.
↑ ab Groehler, S. 211.
↑ A.C. Grayling: Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen? München 2009, S. 371.
↑ Lehmstedt, S. 35.
↑ Verwundungen. 50 Jahre nach der Zerstörung von Leipzig. (Katalog zur Ausstellung vom 4. Dezember 1993 bis 20. Februar 1994 im Alten Rathaus zu Leipzig), Verlag Kunst und Touristik, Leipzig 1993, ISBN 3-928802-34-8, S. 31–35.
↑ Siegfried Hoyer; Lothar Rathmann (Hrsg.): Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig. Edition Leipzig, Leipzig 1984, S. 268.
↑ Horn, S. 201 ff.
↑ Horn, S. 56.
↑ ab Groehler, S. 214.
↑ Horn, S. 57.
↑ Liste (PDF)
↑ A.C. Grayling: Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen? München 2009, S. 387.
↑ A.C. Grayling: Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen? München 2009, S. 388.
↑ Groehler, S. 214 u. Bergander, S. 409.