Derivat (Chemie)




Als Derivat (von lateinisch derivare ‚ableiten‘) wird in der Chemie ein abgeleiteter Stoff ähnlicher Struktur zu einer entsprechenden Grundsubstanz (Stammverbindung) bezeichnet.[1] Derivate sind Stoffe, deren Moleküle an Stelle eines H-Atoms oder einer funktionellen Gruppe ein anderes Atom oder eine andere Atomgruppe besitzen bzw. bei denen ein oder mehrere Atome/Atomgruppen entfernt wurden. Derivate einer Stammverbindung haben meist deutlich andere chemische und physikalische Eigenschaften als Stammverbindung.

Die Herstellung eines Derivates bezeichnet man als Derivatisierung.[2]




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Beispiele


    • 1.1 Ethanderivate


    • 1.2 Carbonsäurederivate


    • 1.3 Phenolderivate




  • 2 Die Bedeutung der Derivatisierung


    • 2.1 Pharmazie


    • 2.2 Chromatographie


    • 2.3 Charakterisierung von Verbindungen




  • 3 Homologe Reihen


  • 4 Literatur


  • 5 Einzelnachweise





Beispiele |



Ethanderivate |



Die untenstehenden Verbindungen sind alle abgeleitete Stoffe des Ethans und damit Beispiele für Ethanderivate. Während bei Ethen und Ethin mehrere H-Atome entfernt wurden, besitzen die anderen Beispiele (Ethanol, Ethanal, Essigsäure, Chlorethan und Ethylamin) anstelle eines oder mehrerer H-Atome eine funktionelle Gruppe.




Carbonsäurederivate |


Als Carbonsäurederivate werden z. B. Carbonsäurehalogenide, Carbonsäureanhydride, Carbonsäureester und Carbonsäureamide bezeichnet. Sie unterscheiden sich von den zugrunde liegenden Carbonsäure nur, indem statt der OH-Gruppe eine andere funktionelle Gruppe oder ein anderes Atom steht.[3] Die relative Reaktivität der genannten Carbonsäurederivate nimmt dabei in der unten dargestellten Reihenfolge ab. Dies lässt sich damit begründen, dass die Elektronegativität der blau gekennzeichneten Substituenten in ebendieser Reihenfolge abnimmt, was mit einem abnehmenden Austrittsvermögen verbunden ist.[4]























Carbonsäure

Carbonsäure.svg

Carbonsäurehalogenid

Carbonsäurehalogenid.svg

Carbonsäureanhydrid

Carbonsäureanhydrid.svg

Carbonsäureester

Carbonsäureester.svg

Primäres (1), sekundäres (2)
und tertiäres (3) Carbonsäureamid

Carbonsäureamid.svg



Phenolderivate |


Bei Phenol handelt es sich um eine aromatische Verbindung, bestehend aus einer Phenylgruppe (–C6H5) und einer Hydroxygruppe (–OH), die in Reinform hoch ätzend und giftig ist. Substituierte Phenole (Phenolderivate) sind jedoch vielfach in Natur und Technik zu finden. Das unten gezeigte 4-(4-Hydroxyphenyl)-2-butanon, auch Himbeerketon genannt, ist beispielsweise eine Hauptgeruchskomponente in Himbeeren. Ein anderes Phenolderivat, Capsaicin, ist eine aktive Komponente in scharfen Pfeffern (z. B. Jalapeño- oder Cayenne-Pfeffer). In beiden Beispielen findet sich beim Derivat anstelle eines oder mehrerer H-Atome eine andere Atomgruppe am Phenylring. [5]


















Phenol

Phenol V2.svg




Phenol


Himbeerketon

4-(4-Hydroxyphenyl)-2-butanon V2.svg




Himbeere


Capsaicin

Capsaicin V2.svg




Chili




Die Bedeutung der Derivatisierung |



Pharmazie |




Acetanilid




Paracetamol


In der Pharmazie hat die Derivatisierung besondere Bedeutung, um aus bestehenden Arzneimitteln neue, möglichst wirksamere oder verträglichere Arzneimittel zu schaffen. So ist zum Beispiel die Acetylsalicylsäure (der Wirkstoff des Aspirins) ein Derivat der Salicylsäure, also des medizinisch aktiven Stoffes. Ein weiteres Beispiel ist Paracetamol, das besser verträgliche Derivat des Acetanilids.[6]



Chromatographie |


In der gesamten chromatographischen Analytik spielt die Derivatisierung eine bedeutende Rolle.
In der Gaschromatographie und Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung werden Derivate meist eingesetzt, um nicht oder nur schwer verdampfbare Analyte in leichter flüchtige Derivate umzuwandeln, die der Chromatographie in der Gasphase zugänglich sind.
In der HPLC-Analytik werden häufig chromophore und/oder fluoreszierende Derivate eingesetzt, um die sensitive und spezifische Detektion im sichtbaren bzw. ultravioletten Spektralbereich zu ermöglichen.[2] In der Dünnschichtchromatographie können Substanzen mit Nachweisreagenzien unter Bildung gefärbter Derivate sichtbar gemacht werden. Man bezeichnet ides als postchronmatographische Derivatisierung.[7] Dabei werden die Derivatisierungsreagenzien auf die DC-Platten aufgesprüht oder die DC-Platten mit dem Derivatisierungsreagenz bedampft oder in damit getaucht.


Gängige Derivatisierungreagenzien in der Chromatographie sind




  • Ninhydrin zum Nachweis von Aminosäuren


  • Vanillin-Schwefelsäure zum Nachweis von Alkoholen, Steroiden und Terpenen


  • Kaliumpermanganat zum Nachweis von Polyalkoholen, Polycarbonsäuren und ungesättigten Verbindungen

  • Bedampfen mit Jod

  • Bedampfen mit Chlor als Nachweis für Säureamide



Charakterisierung von Verbindungen |


Historische Bedeutung hat die Derivatisierung in der Analytik und Charakterisierung organischer Verbindungen:[8]



  • Durch Umsetzung von Carbonylverbindungen mit 2,4-Dinitrophenylhydrazin erhält man die besonders gut kristallisierenden Hydrazone.

  • Die Methode der Identifizierung von Monosacchariden durch Derivatisierung mit Phenylhydrazin zu den Osazonen wurde von Emil Fischer 1884 entwickelt.



Homologe Reihen |


Vom Begriff Derivat abgegrenzt werden muss der Begriff Homologon. Homologa sind Stoffe, die sich nur durch die Kettenlänge ihrer Grundbausteine unterscheiden; in der Organischen Chemie sind dies die Kohlenwasserstoffketten etwa von Alkanen, Alkenen, Alkoholen oder Carbonsäuren. Glieder dieser homologen Reihen sind in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften oft sehr ähnlich.[9] Homologa sind in aller Regel keine Derivate.



Literatur |



  • Karl Blau, Graham S. King (Hrsg.): Handbook of Derivatives for Chromatography. Heyden & Son Ltd., London 1977, ISBN 0-85501-206-4.

  • R. W. Frei, J. F. Lawrence (Hrsg.): Chemical Derivatization in Analytical Chemistry, Vol. 1: Chromatography, Plenum Press, New York & London 1981, ISBN 0-306-40608-X

  • Eintrag zu Derivate. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 20. Juni 2014.

  • Daniel R. Knapp: Handbook of Analytical Derivatization Reactions. J. Wiley & Sons, New York 1997, ISBN 0-471-03469-X.


  • Kurt Peter C. Vollhardt: Organische Chemie („Organic chemistry, structure and function“). 3. Aufl. Wiley VCH, Weinheim 2000, ISBN 3-527-29819-3 (Kap. 15, 19 und 20).



Einzelnachweise |




  1. Brockhaus ABC Chemie, VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig 1965, S. 276.


  2. ab Eintrag zu Derivatisierung. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 8. November 2018.


  3. Oliver Reiser: Organische Chemie : Studieren kompakt. Hrsg.: Paula Y. Bruice. 5. Auflage. Pearson Studium, München 2011, ISBN 978-3-86894-102-9, S. 658. 


  4. K. Peter C. Vollhardt, Neil E. Schore: Organische Chemie. Hrsg.: Holger Butenschön. 5. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2011, ISBN 3-527-32754-1, S. 991–993. 


  5. K. Peter C. Vollhardt, Neil E. Shore: Organische Chemie. Hrsg.: Holger Butenschön. 5. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim, ISBN 978-3-527-32754-6, S. 1101–1102. 


  6. Eintrag zu Paracetamol. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 10. November 2018.


  7. DocCheck Flexikon: Derivatisierung, abgerufen am 20. November 2018


  8. Hans Beyer, Wolfgang Walter: Lehrbuch der organischen Chemie. 18. Auflage. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 1978, ISBN 3-7776-0342-2. 


  9. Brockhaus ABC Chemie, VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig 1965, S. 551.









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