Kreolsprache




Eine Kreolsprache, kurz Kreol genannt, ist eine Sprache, die in der Situation des Sprachkontakts aus mehreren Sprachen entstanden ist, wobei oft ein Großteil des Wortschatzes der neuen Sprache auf eine der beteiligten Kontaktsprachen zurückgeht. Nach dem Prozess der Kreolisierung unterscheidet sich die Kreolsprache von den beteiligten Ausgangssprachen deutlich in der Grammatik, oft auch im Lautsystem. In manchen Fällen entwickelt sich durch einen Prozess des Sprachausbaus eine Kreolsprache zu einer Standardsprache.


Die Kreolsprache mit den meisten Sprechern ist das haitianische Kreol, es wird von mehr als zehn Millionen Menschen gesprochen.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Etymologie


  • 2 Entstehung und Merkmale


  • 3 Abgrenzung von Pidgins


  • 4 Beispiel: Spanisch-basierte Kreolsprachen


    • 4.1 Bozal-Spanisch


      • 4.1.1 Kolumbien (Chocó)


      • 4.1.2 Ecuador (Chota Valley)


      • 4.1.3 Mexiko (Veracruz)


      • 4.1.4 Peru


      • 4.1.5 Venezuela




    • 4.2 Papiamento und Palenquero




  • 5 Entstehungstheorien


    • 5.1 Substrattheorie


    • 5.2 Vereinfachung


    • 5.3 Bioprogramm


    • 5.4 Monogenetische Entstehung


    • 5.5 Polygenetische Entstehung


    • 5.6 Mischsprachen




  • 6 Die Akzeptanz des Kreolischen als Sprache


  • 7 Dekreolisierung und Hyperkreolisierung


  • 8 Siehe auch


  • 9 Einzelnachweise


  • 10 Literatur


  • 11 Weblinks





Etymologie |


Die Bezeichnung Kreolsprache beziehungsweise Kreol ist abgeleitet von den Kreolen: In den einst kolonialen Ländern vermischten sich die Sprachen ebenso wie die Bevölkerung. Das spanische Wort criollo bedeutet eigentlich „eingeboren“. Die Etymologie geht über spanisch criar „aufziehen“ zurück auf lateinisch creare „erzeugen“.[1]



Entstehung und Merkmale |


„Kreolsprachen auf portugiesischer, englischer, französischer oder niederländischer Grundlage sind ein Produkt der europäischen Expansion im 17. und 18. Jahrhundert.“[2]
„Kreolsprachen sind nach Ansicht der meisten Kreolisten aus ‚Basissprachen‘ entstanden und lassen sich nicht typologisch, sondern nur soziolinguistisch definieren.“[3]


„Alle Kreols weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf, die sie untereinander ähnlich und von ihren Superstratsprachen verschieden erscheinen lassen. Nicht jedes Merkmal kommt in allen Kreols in genau der gleichen Form vor, obwohl es eine Anzahl von Erscheinungen gibt, die sehr typisch sind.“[4]
Sie zeichnen sich ab in der Phonologie, der allgemeinen Morphosyntax, dem Verbalsystem und dem Lexikon. Das sind z. B. SVO-Wortfolge, die präverbale Markierung von Negation, Tempus und Modus sowie Serialverbkonstruktionen.[5]
Kreolsprachen „besitzen [also] eine regelmäßige und einfache Grammatik und eine feste Wortstellung, vermeiden alle einigermaßen schwierigen Lautverbindungen [und] begünstigen die Zweisilbigkeit“.[6]Jared Diamond schreibt: „Gegenüber Pidgin-Sprachen zeichnen sich kreolische Sprachen durch ihr umfangreicheres Vokabular, ihre wesentlich kompliziertere Grammatik und die Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs aus.“[7]


Der US-amerikanische Linguist Derek Bickerton vertritt wie Noam Chomsky die Meinung, dass wir Menschen eine angeborene Universalgrammatik hätten. Er vermutet, dass unsere genetisch „vorprogrammierte“ Grammatik der kreolischen Sprache entspricht.[8]



Abgrenzung von Pidgins |


Kreolsprachen sind Sprachen, die nicht nur zu Kommunikationszwecken eingesetzt werden, sondern auch den expressiven und integrativen Funktionen einer Sprechgemeinschaft gerecht werden.


Zum besseren Verständnis werden oft die Pidgin-Sprachen den Kreolsprachen gegenübergestellt. Jedoch sind beide schwierig voneinander abzugrenzen. Sowohl Pidgin-Sprachen als auch Kreolsprachen können laut Knörr Muttersprachen sein.[9] Hingegen gibt es Vertreter der Meinung, dass ebendies nicht der Fall ist. Annegret Bollée beispielsweise erklärt, dass nur Kreolsprachen Muttersprachen sein können.[3] Aber auch sie verweist darauf, bei der Definition soziolinguistisch vorzugehen. „Sprachexterne Faktoren […] sind bei den Kreolsprachen von besonderer Bedeutung, da die Andersartigkeit dieser Sprachen einzig und allein soziolinguistisch begründet werden kann.“[10]
Kreolsprachen sind nativisierte Pidgins und jedes nativisierte Pidgin ist ein Kreol.[11]



Beispiel: Spanisch-basierte Kreolsprachen |



Spanisch basierte Kreolsprachen
1 Palenquero
2 Papiamentu
3 Chabacano


Die spanisch-basierten Kreolsprachen sind aufgrund des Zusammenwirkens bestimmter soziokultureller Faktoren in geographisch zum Teil weit auseinanderliegenden Gebieten entstanden.[12]



Bozal-Spanisch |


In Chocó, Chota Valley, Veracruz, Peru und Venezuela.
Nach McWhorter ist die Entstehungsgeschichte der Spanisch basierten Kreols rückführbar auf Westafrika.
Im Rahmen der Kolonialisierung wurden Sklaven aus Westafrika von den Spaniern in die neuen Kolonien nach Kuba und Puerto Rico verschleppt. Die Spanier ließen die Schwarzen als Haushaltshilfen sowie als Sklaven für sich arbeiten.[13] Das Bozal-Spanisch war überwiegend in Kuba verbreitet. Die Sprache der negros bozales.[14] wurde Habla Bozal genannt und stellte ein Kreol auf kubanischem Gebiet dar, das auf Spanisch basierte.
McWhorter: “Dies suggeriert, dass Bozal-Spanisch hauptsächlich eine Variante des Spanischen von Nicht-Muttersprachlern ist. Etwas eben, das man von Sprachlernenden erwarten würde die ursprünglich aus Afrika stammen”[15] Trotzdem kann die Aussage, dass Bozal-Spanisch ein Kreol-Spanisch ist, nicht gehalten werden. Eher liegt hier ein Fall sprachlicher Varietät vor.[16]



Kolumbien (Chocó) |


In der Chocó-Region lebten 1778 ungefähr 5.828 schwarze Sklaven, jedoch nur 175 Weiße.[17] Ihre Zahl stieg im Laufe der Jahre kontinuierlich an, bis das Verhältnis zwischen Europäern und Schwarzen fast ausgeglichen war. Die Sklaven, die in den Kolonien zwangsangesiedelt wurden, befanden sich in einer ihnen fremden Situation. Sie waren konfrontiert mit jeweils anderen, afrikanischen Einzelkulturen und mit der Kultur der Kolonialeuropäer.
Nach McWhorter importierten die Spanier viele Westafrikaner mit einer großen Bandbreite an Sprachen ins pazifische Tiefland Nordwest-Kolumbiens, die dort in den Minen arbeiten mussten. Dem Modell des begrenzten Zugangs entsprechend war dies ein typischer Nährboden für eine Kontaktsprache mit extrem reduzierter Struktur.[18]


Der Kontakt zwischen beiden Bevölkerungsgruppen war relativ distanziert.[19] Keine der beiden Gruppen war sprachlich homogen; sie waren verschieden, da sie unterschiedlichen Regionen entstammten. Die durch räumliche Entfernung erzwungene ethnokulturelle Entfremdung ließ ein Bedürfnis nach neuer Verwurzelung, nach einem der neuen Situation entsprechenden Zugehörigkeitsgefühl entstehen.[20] Durch den Kontakt zwischen beiden Bevölkerungsgruppen hatten die Sklaven zumindest anfangs guten Zugang zu weißen Siedlern. Die sozioökonomische Bedeutung dieser Sprache motivierte sie, diese schnell zu erlernen, denn auf Grund der Sprachenvielfalt innerhalb der Sklavengruppen diente der Spracherwerb auch ihrer internen Kommunikation.[21]


Beispiel:[22]





„Esa gente som muy amoroso. Dijen que … dijeron que volbían sí … cuando le de su gana a ello vobe.“








“That people COP very nice. They-say that they-say-PAST that they-return-IMP yes when to-them give their desire to them return.”








“Those people are really nice. They say that… they said that they would come back… when they felt like it.”





Die Kürzel COP, PAST, und IMP sind grammatikalische Indikatoren. COP zeigt an, dass dort eine Form eines Kopula-Verbs wie „sein“ stehen muss. PAST steht für eine Vergangenheitsform eines Verbs und IMP für die Verwendung eines Verbs im Imperfekt.



Ecuador (Chota Valley) |


Afrikanische Schwarze wurden seit dem 17. Jahrhundert dorthin gebracht, um als Sklaven für die Jesuiten und Mercedarier auf Haciendas (v. a. Zuckerrohrplantagen) und in Minen bzw. Salinen zu arbeiten. Zuckerrohr wurde bald in immer größerem Umfang angebaut und die in der Kolonie erwirtschafteten Gewinne wuchsen. Immer mehr Sklaven wurden aus Afrika für die Betreibung der arbeitsintensiven Monokultur eingeführt,[23] sodass der Kreolisierungsprozess einsetzte und sich bald kontinuierlich beschleunigte. Da die Kreolsprachen als Produkte der Kolonisation und damit der Domination der Weißen gegenüber den Schwarzen entstanden, werden sie von manchen bis heute als Relikte der Sklavengesellschaft beschrieben.[24]



Mexiko (Veracruz) |


Im 15. Jahrhundert konnte man auch afromexikanische Gemeinschaften in Veracruz finden. Die Sklaven wurden auch hier hauptsächlich hergebracht, um auf Zuckerrohrplantagen zu arbeiten.[25]



Peru |


Die größten Schwarzensiedlungen gab es in Peru. Besonders bei den Feldsklaven wurden afrikanische Sprachstrukturen weitgehend beibehalten. Es existierte also auf sprachlicher Ebene ein Kontinuum, wobei auf der einen Seite desselben eine Kreolsprache mit ausgeprägt afrikanischer Prägung, auf der anderen ein spanischer Dialekt mit geringer afrikanischer Prägung angesiedelt ist.
“Spanisch, vermutlich. Aber Schwarze in Peru sprachen nunmal einen lokalen Dialekt des Spanischen.”[26]



Venezuela |


Ähnliches gilt auch für die Kultur. Es entstanden überall Kreolkulturen, in denen die verschiedenen einzelkulturellen Hintergründe der kolonialeuropäischen Kulturelemente integriert wurden. In einigen Gebieten wie zum Beispiel in Venezuela wurden afrikanische Elemente eher bewahrt als in den anderen.
„Venezuela ist die Heimat einer lebendigen, bewusst Afro-venezolanischen Kultur der Folklore, Musik und Tanz – Erbe der massiven Verschleppung von Afrikanern zur Minen- und Plantagenarbeit.“[26]



Papiamento und Palenquero |


Tatsächlich spricht man bei Papiamentu und Palenquero von spanisch-basierten Kreolsprachen, obwohl auch dies unter Fachleuten keine einheitliche Zustimmung findet. Sie werden auf den ABC-Inseln (Aruba, Bonaire, Curação) bzw. in Kolumbien gesprochen. Basis beider Sprachen ist das Negro-Portugiesische gemischt mit Spanisch. So könnte man wohl eher von iberoromanisch-basierten Kreols sprechen. Auch niederländisches Vokabular ist Teil des Lexikons beider.
Es ist nicht nur ein diachronischer, sondern auch ein synchronischer Terminus, bezieht sich also auf soziohistorische Beobachtungen und auf strukturell-sprachliche.[27]



Entstehungstheorien |


Obwohl es verschiedene Entstehungstheorien für Kreolsprachen gibt, einigen sich mehrere Kreolisten auf folgenden Konsens: „Wird ein Pidgin von einer Sprachgemeinschaft als Erstsprache angenommen und somit zur Muttersprache einer heranwachsenden Generation, so nennt man es […] Kreolisch.“[3]



Substrattheorie |


Typischerweise beziehen Kreolsprachen ihr Lexikon vorwiegend von der Sprache, deren Sprecher in gewisser Weise dominant sind (meist die Kolonialmächte).[28] Diese wird damit zum Lexifier oder auch Superstrat und bildet damit die Basis der Kreolsprache. Den Gegenpart bildet die Sprache, von der grundlegende grammatische Strukturen übernommen werden – das Substrat. Diese Theorie mischt des Öfteren in andere mit hinein, da sie von einer größeren Anzahl der Wissenschaftler dieses Gebietes vertreten wird. So ist es möglich, dass die Begriffe Substrat und Superstrat vorausgesetzt werden und nicht als eigenständige Theorie gelten, sondern Teil anderer sind.



Vereinfachung |


Vereinfacht würde dies bedeuten, dass sich die Zugewanderten mit den Einheimischen versuchten zu verständigen. Dazu reduzierten sie ihre eigene Sprache in Wortschatz und Grammatik, damit die Einheimischen sie besser verstehen könnten. So wird die Sprache von außerhalb zur Basissprache.[3] Diese Form entspricht der Vereinfachungstheorie. Der Kern der Kommunikation beider Parteien bestand aus Befehlen. Befehle, die die zugewanderten Kolonialherren den Einheimischen begreifbar zu machen versuchten. Somit bestand kein vertieftes Interesse, ihre eigene Sprache in ihrer gesamten Komplexität zu vermitteln. Fehler, die sich einschlichen, wurden nicht ausgebessert, sondern im weiteren Sprachgebrauch beibehalten. Diese Methode ist vergleichbar mit dem Baby-Talk: Die Art und Weise, wie miteinander gesprochen wird, ähnelt der Kommunikationsweise mit Kleinkindern.
Zu dem mangelnden Interesse an der Sprachvermittlung einerseits „kommt [andererseits] die mögliche Ablehnung des korrekten Erlernens der neuen Sprache aus dem Bewusstsein heraus, die eigene Identität zu bewahren oder gar die eigene Sprache und Kultur als wertvoller zu erachten.“[29]



Bioprogramm |


Derek Bickerton hat Pidgin- und Kreolsprachen entlang der Natürlichkeitsgrenze ausgearbeitet. Kreolsprachen werden laut Bickerton von Kindern als Muttersprache erlernt. Dabei greifen diese auf eine Art Bioprogramm zurück.[30]
Nach Bickerton besitzt ein Mensch ein angeborenes Sprachprogramm, das die unvollkommene Sprache selbstständig weiterentwickelt. Kinder, die eine Sprache erlernen, können mit Hilfe einer inneren Universalgrammatik, die jedem angeboren ist, Regelmäßigkeiten erkennen und dabei auch neue Worte bilden.[31] „Alle strukturverändernden Eingriffe am Sprachsystem werden in eine [bestimmte…] Phase des Wachstums gelegt“.[32] Die Muttersprache sei in ihren natürlichen Strukturen erworben und wird anschließend nur noch in der immer selben Form reproduziert. Im Erwachsenenalter könne man schlicht Sprachen nicht mehr so einwandfrei erlernen wie im Kindesalter. Die Ergebnisse seien mehr oder weniger „defizitär, wie man an den eingeschränkten Grammatikstrukturen der Pidgin sehen könne“.[32]



Monogenetische Entstehung |


Die monogenetische Theorie geht von der Entstehung aller Pidgin- und Kreolsprachen aus einem gemeinsamen Ursprung aus. Die Theorie besagt, dass Ähnlichkeiten zwischen spanisch-basierten Kreolsprachen auf den Philippinen und Indo-Portugiesisch auf die Herkunft aus einem portugiesischen Pidgin – einer Handelssprache ähnlich „Sabir“, der Lingua Franca im Mittelmeerraum – zurückgeführt werden könnten.[33] Bekannterweise beziehen Kreolsprachen jedoch ihren Wortschatz nicht nur aus dem Portugiesischen, sondern aus verschiedenen (hauptsächlich europäischen) Sprachen. Dieser Umstand wurde damit erklärt, dass das portugiesische Proto-Pidgin im Laufe der Kolonialgeschichte, in der viele Kolonien wiederholt ihre Staatszugehörigkeit wechselten, relexifiziert wurde. Das kann man gut am Papiamentu-Beispiel sehen, das häufig als Beweis für die Möglichkeit der Relexifizierung angeführt wird. Papiamentu besitzt einen gemischten, spanisch-portugiesisch-basierten Wortschatz, wobei angenommen wird, dass er ursprünglich portugiesisch war und im Laufe der Zeit spanisch relexifiziert wurde.[34]



Polygenetische Entstehung |


Sie geht davon aus, dass Pidgin- und Kreolsprachen unabhängig voneinander entstanden sind. Es besteht also kein gemeinsamer Ursprung. Schuchardt vertrat die Annahme, dass Kreolsprachen aus der Notwendigkeit heraus durch vorsätzliche Kreation der europäischen Kolonialherren entstanden. Die besiegte Bevölkerung hat die europäische Sprache mehr schlecht als recht zu übernehmen versucht, sei es auf freiwilliger oder auf erzwungener Basis. Für Schuchardt sind dagegen alle im betreffenden Gebiet gesprochenen Sprachen in unterschiedlicher Weise an der Entstehung von Kreolsprachen beteiligt. Der Begriff der „unabhängigen parallelen Entwicklung“ (Robert A. Hall) stellt dar, dass gleiche Prozesse gleiche Ergebnisse bei unterschiedlichen Startpunkten produzieren.[35]



Mischsprachen |


Schon die Sprachpuristen des 17. Jahrhunderts betrachteten die romanischen Sprachen als Mischsprachen. Philipp von Zesen sah Französisch dem Wortschatz nach als eine Mischung der „Hauptsprachen“ Deutsch und Latein an.[36]Johann Michael Moscherosch klassifizierte generell: „Wälsche [romanische] Sprachen sind Bastart Sprachen.“ [37]. Die spätere Sprachwissenschaft blieb bis ins 19. Jahrhundert bei dieser Auffassung. „Erst die allmähliche Durchsetzung der historisch-vergleichenden Methode führte dazu, dass der Prozess des Sprachwandels als ein systematischer, innerer Vorgang der Sprache verstanden wurde.“[38] Aber die Theorie der Sprachmischung blieb bestehen. Einer der Vertreter war Hugo Schuchardt. Seiner These zufolge gibt es keine dominierende Sprache, aus der eine untergeordnete Sprache (Kreol) hauptsächlich hervorginge. Kreolsprachen bezögen in ihrer Substanz nicht indo-europäische Sprachen, sondern ihre Grammatik würde von der je verschiedenen indigenen Sprache bestimmt.[39] „Für Schuchardt [besteht] die Einwirkung der Sprachmischung nicht darin […], dass grammatische Formbildungselemente eins zu eins in die andere Sprache übertragen werden, sondern dass bei großen Unterschieden […] Neubildung[en] stattfinde[n]“.[40]



Die Akzeptanz des Kreolischen als Sprache |


Bei all den Schwierigkeiten der Abgrenzung und der Definition ist ein wichtiger Aspekt nicht aus den Augen zu verlieren. Die Tatsache, dass Kreolsprachen tatsächlich als Sprachen bezeichnet werden können, findet ebenfalls keine absolute Übereinstimmung unter Philologen. In einem von Ursula Reutner geführten Interview mit Annegret Bollée geht diese auf den umstrittenen Sachverhalt ein. Sie postuliert ihre Meinung beispielhaft an ihrer Arbeit auf den Seychellen.


„Auf den Seychellen gab es die ständige Diskussion, die auch aus anderen Gebieten bekannt ist: Das Kreol ist keine Sprache, […] weil es keine Grammatik hat. […] Das vordergründige Argument war eben, das Kreol hat keine Grammatik. Nun ja, dann habe ich eine geschrieben und auch veröffentlicht, das war […] 1977, und das hat doch ziemlich Eindruck gemacht. Ich wurde im Radio interviewt und konnte nun sagen: ‚Le créole est une langue, parce que voilà la grammaire‘. [Kreol ist eine Sprache, denn hier ist die Grammatik dazu.] In dem Moment, wo sie gedruckt vor aller Augen erschienen ist, konnte man das dann akzeptieren. Und ich denke, wenn ich persönlich überhaupt etwas bewirkt habe, dann eigentlich das, also das Bewusstsein dafür zu schaffen, dies ist eine Sprache, sie hat eine Grammatik und man kann sie studieren, man kann sie beschreiben, man kann auch ein Wörterbuch abfassen – das kam dann 1982. Das ist doch – glaube ich – recht wichtig für die Sprachpolitik gewesen, denn 1982 wurde in der Tat das Kreol in der Schule als Medium der Alphabetisierung eingeführt.“[41]


Dekreolisierung und Hyperkreolisierung |


Wenn sich Kreolsprachen durch dauernde Kontakte oder Ausweitung der Schulbildung grammatisch wieder an die Sprache
annähern, aus der sie ihr Vokabular bezogen haben, kann eine engere Sprachverwandtschaft neu entstehen. Das ist z. B. der Fall, wenn die Nutzung der Kreolsprache nur geringes Sozialprestige verspricht und gleichzeitig die Herkunftssprache als prestigereiche Bildungssprache von immer mehr Menschen erlernt wird. Diesen Vorgang nennt man Dekreolisierung. Beispiele sind Krio[42] in Sierra Leone und Englisch oder louisianisches Kreolisch und Französisch. Als Konsequenz der Dekreolisierung kommt es häufig zu aggressiven und nationalistischen Reaktionen gegen die Standard- bzw. Bildungssprache, da die Kreolsprecher auf der Anerkennung der ethnischen Identität ihrer Gemeinschaft bestehen und die Standardsprache als ein Symbol des Kolonialismus ansehen. Solche Reaktionen können zu einem deutlich veränderten Sprachverhalten in Form einer Rekreolisierung oder Hyperkreolisierung führen.[43][44] Das Black English in den USA durchlief alle Phasen von der Kreolisierung während der Versklavung über die anpassende Dekreolisierung nach dem amerikanischen Bürgerkrieg bis zur selbstbewussten Hyperkreolisierung der letzten Jahrzehnte.



Siehe auch |


  • Liste der Kreolsprachen


Einzelnachweise |




  1. Kreole. In: Duden online


  2. Bollée: Beiträge zur Kreolistik. 2007, S. 164


  3. abcd Bollée: Beiträge zur Kreolistik. 2007, S. 151.


  4. Bartens: Die iberoromanisch-basierten Kreolsprachen: Ansätze der linguistischen Beschreibung. 1995, S. 8.


  5. Bruyn: Grammaticalization in creoles: the developement of determiners and relative clauses in Sranan. 1995, S. 1.


  6. Schuchardt (1903) 1922, S. 318.


  7. Jared Diamond: Der dritte Schimpanse. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, ISBN 978-3-10-013912-2, Kapitel 8: „Brücken zur menschlichen Sprache“, S. 183 ff., Zitat S. 209


  8. Quelle: Jared Diamond: Der dritte Schimpanse. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, ISBN 978-3-10-013912-2, S. 208


  9. Knörr: Kreolisierung versus Pidginisierung als Kategorien kultureller Differenzierung: Varianten neoafrikanischer Identität und Interetethik in Freetown/Sierra Leone. 1995, S. 16.


  10. Bartens: Die iberoromanisch-basierten Kreolsprachen: Ansätze der linguistischen Beschreibung. 1995, S. 3.


  11. Pagel: Spanisch in Asien und Ozeanien. 2009.


  12. Bollée: Beiträge zur Kreolistik. 1977a, S. 133


  13. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 7


  14. „Der Terminus Bozal bezeichnet einen in Afrika geborenen Menschen, der nicht oder kaum Spanisch sprach und im wesentlichen seine kulturellen Wurzeln zu bewahren suchte.“ Michael Zeuske: Kuba 1492–1902. Leipziger Universitäts-Verlag, Leipzig 1998, ISBN 3-931922-83-9, S. 298. 


  15. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 21


  16. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 39


  17. West: The Pacific lowlands of Colombia. 1957 S. 100, 108


  18. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 7: „the Spanish began importing massive numbers of West Africans who spoke a wide variety of languages into the Pacific lowlands of northwestern Colombia to work their mines. This context shortly became one which, according to the limited access model, was a canonical breeding ground for a contact language of extreme structural reduction.“


  19. Rout: The African experience of Spanish America: 1502 to the present day. 1976, S. 243–249


  20. Steiger: 1989, S. 222


  21. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 8


  22. Zitiert nach Schwegler: In: McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 9


  23. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 10


  24. Calvet: Linguistique et colonialisme. Petit traité de glottophagie. 2002, S. 155ff


  25. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 11


  26. ab McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. 2000, S. 12


  27. Pagel: Spanisch in Asien und Ozeanien. 2009, S. 384


  28. Thomason: A Typology of Contact Languages. In: Holm: Contact Languages. Critical Concepts in Language Studies Volume II, 2009, S. 45


  29. Seidel, Christian: Genesetheorien bei Kreolsprachen. Stand: 2004, S. 5 PDF (abgerufen am 20. September 2012)


  30. Bachmann: Die Sprachverwendung des Kreolischen. Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des Papiamentu. 2005, S. 179


  31. Holm: Pidgins and Creoles. Bd1, 1988, S. 61


  32. ab Bachmann: Die Sprachverwendung des Kreolischen. Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des Papiamentu. 2005, S. 180


  33. Holm: Pidgins and Creoles. 1988, S. 46


  34. Boretzky: Kreolsprachen, Substrate uns Sprachwandel. 1983, S. 28


  35. Sebba: Contact Languages. Pidgins and Creoles. 1997


  36. Herbert Blume: Die Morphologie von Zesens Wortneubildungen. Diss. 1967.


  37. Anderer Theil der Gesichte des Philanders von Sittewalt. [= Moscherosch, Johann Michael: Les Visiones de Don Francesco Villegas. Bd. 2.] Mülbe, Straßburg 1644, S. 126, beigedruckte Randglosse.https://books.google.de/books?id=055QAAAAcAAJ&pg=PA126&dq=bastart+sprachen+intitle:les+intitle:visiones&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjvhfPI2ufdAhVBiywKHWtHDLMQ6AEILjAB#v=onepage&q=bastart%20sprachen%20intitle%3Ales%20intitle%3Avisiones&f=false


  38. Bachmann: Die Sprachverwendung des Kreolischen. Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des Papiamentu. 2005, S. 50


  39. Bachmann: Die Sprachverwendung des Kreolischen. Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des Papiamentu. 2005, S. 53


  40. Bachmann: Die Sprachverwendung des Kreolischen. Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des Papiamentu. 2005, S. 54


  41. Bollée: Beiträge zur Kreolistik. 2007, S. 206


  42. Sina Friedreich: Krio: Geschichte und Analyse anhand von Texten. Diplomica Verlag 2003, ISBN 978-3832471477.


  43. Stichwort Englisch basierte Kreolsprachen, in: Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Springer Verlag 2016, S. 165.


  44. Karl-Heinz Stoll: Die Interkulturalität afrikanischer Literatur: Chinua Achebe, Cyprian Ekwensi, Ngugi wa Thiong'o, Wole Soyinka. Münster 2003, S. 14.



Literatur |




  • Iris Bachmann: Die Sprachwerdung des Kreolischen. Eine diskursanalytische Untersuchung am Beispiel des Papiamentu. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2005, ISBN 3-8233-6146-5.

  • Angela Bartens: Die iberoromanisch-basierten Kreolsprachen: Ansätze der linguistischen Beschreibung. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1995, ISBN 3-631-48682-0.


  • Annegret Bollée: Beiträge zur Kreolistik. Annegret Bollée. Herausgegeben sowie mit Vorwort, Interview, Schriftenverzeichnis und Gesamtbibliographie versehen von Ursula Reutner als Festgabe für Annegret Bollée zum 70. Geburtstag. Helmut Buske Verlag, Hamburg 2007, ISBN 978-3-87548-478-6.


  • Norbert Boretzky: Kreolsprachen, Substrate und Sprachwandel. Harrassowitz, Wiesbaden 1983.

  • Adrienne Bruyn: Grammaticalization in Creoles: the Developement of Determiners and Relative Clauses in Sranan. IFOTT, Amsterdam 1995, ISBN 90-74698-21-2.

  • Louis Jean Calvet: Linguistique et Colonialisme. Petit Traité de Glottophagie. Payot, Paris 1974.

  • John A. Holm: Pidgins and Creoles. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1988.

  • Jacqueline Knörr: Kreolisierung versus Pidginisierung als Kategorien kultureller Differenzierung: Varianten neoafrikanischer Identität und Interetethik in Freetown/Sierra Leone. LIT Verlag, Münster u. a. 1995, ISBN 3-8258-2318-0.

  • Lang, Jürgen (2009): Les langues des autres dans la créolisation. Théorie et exemplification par le créole d'empreinte wolof à l'île Santiago du Cap Vert. Narr: Tübingen

  • Claire Lefebvre: Creoles, their Substrates, and Language Typology. John Benjamins Publishing Company, Amsterdam u. a. 2011, ISBN 978-90-272-0676-3.

  • John H. McWhorter: The Missing Spanish Creoles. Recovering the Birth of Plantation Contact Languages. University of California Press, Berkley u. a. 2000. ISBN 0-520-21999-6.

  • Steve Pagel: Spanisch in Asien und Ozeanien. Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2010, ISBN 978-3-631-60830-2.

  • Matthias Perl, Armin Schwegler: América negra: panorámica actual de los estudios lingüísticos sobre variedades hispanas, portuguesas y criollas. Vervuert Verlag, Frankfurt a. M., Iberoamericana, Madrid 1998, ISBN 3-89354-371-6 (Vervuert), ISBN 84-88906-57-9 (Iberoamericana).

  • Leslie B. Rout: The African Experience of Spanish America: 1502 to the present Day. Cambridge University Press, Cambridge 1976.

  • Mark Sebba: Contact Languages. Pidgins and Creoles. Macmillan Press, Basingstoke 1997, ISBN 0-333-63023-8.


  • Sarah G. Thomason: A Typology of Contact Languages. In: Holm, John, Susanne Michaelis (Hrsg.): Contact Languages. Critical Concepts in Language Studies Bd. II. Routledge, London u. a. 2009, S. 45, ISBN 978-0-415-45607-4.


  • Robert C. West: The Pacific Lowlands of Colombia. Louisiana State University Press, Baton Rouge 1957.

  • Jürgen Lang: Les langues des autres dans la créolisation: théorie et exemplification par le créole d'empreinte wolof à l'île Santiago du Cap Vert. Tübingen: Narr, 2009.



Weblinks |



 Wiktionary: Kreolsprache – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


  • Journal of Pidgin and Creole Languages

  • Hörbeispiele: Liberian English – 15 Texte (maximal 9:22 min)


  • Poster Spanische Sprachwissenschaft. Abgerufen am 30. November 2012









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